Interview mit Herrn Erich Martin aus Adorf zur Demontage der Trasse auf sächsischem Gebiet im Jahr 1949

Von Thomas Schindel, Freitag, den 04. Dezember 2009

Zur Person: Erich Martin, Jahrgang 1926, geboren und aufgewachsen in Aussig/Ústí nad Labem fand, aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen, 1946 seine neue Heimat im vogtländischen Adorf. Hier arbeitete er zunächst in der Textilfabrik Vowetex (ehemals Gebrüder Übel).

Dort, wie überall im Osten Deutschlands wurden im Zuge von Reparationsleistungen Maschinen abgebaut und in die UDSSR überführt. Der damit verbundene Arbeitsplatzabbau führte ihn in die Arbeitslosigkeit.

Eher zufällig fand er 1949 eine Zeit lang Beschäftigung als Bauhelfer bei der Bahnmeisterei in Adorf, wo er aktiv an der Demontage der Roßbacher Strecke beteiligt war.



T.SCHINDEL: Wo genau auf der Trasse begannen damals die Abrissarbeiten?

E. MARTIN: Wir haben im März 1949 mit dem Abbau der Gleise an der Straßenbrücke beim Bahnhof Arnsgrün-Gettengrün begonnen. Von hier aus war die Strecke, bis auf kleinere Beschädigungen an der Brücke in der Elsteraue, noch durchgehend bis zum Stellwerk 1 des Adorfer Bahnhofs befahrbar. In der anderen Richtung nach Roßbach fehlten bereits die Schienen bis zur Landesgrenze.

T.SCHINDEL: In allen bekannten Artikeln zur Roßbacher Bahn wird davon berichtet, dass die Brücke in der Elsteraue im April 1945 durch einen amerikanischen Angriff zerstört worden sei und damit die Strecke unbefahrbar wurde. Sie sagen, dass die Brücke nur leichte Beschädigungen aufwies. Heißt das, dass auf der Reststrecke im Jahr 1949 noch Zugverkehr möglich war?

E. Martin: Nein. An der Elsterbrücke auf der Roßbacher Seite war das Gleis etwa 10 cm aufgerissen, was meines Wissens von einem erfolglosen Sprengversuch der Brücke durch die deutsche Wehrmacht in den letzten Kriegstagen herrührte. Ansonsten war sie noch intakt, konnte aber von Lokomotiven nicht mehr befahren werden. Das Passieren der Flußüberquerung mit Pritschenwagen, die wir zum Abtransport der Eisenteile benutzten, war hingegen problemlos möglich.

T.SCHINDEL: Wie wurden diese Wagen bewegt, wenn ein Lokomotiveinsatz nicht mehr möglich war?

E. MARTIN: Mit Muskelkraft, wir sind auf den Schwellen gelaufen und haben sie vor uns her geschoben. Das war gar nicht so einfach. Es gab ja damals nicht einmal ordentliches Schuhwerk. Ich selbst besaß zu der Zeit ein paar Holzschuhe, die ich aus der Gefangenschaft mitgebracht hatte.

T.SCHINDEL: War das nicht sehr anstrengend, die Wagen über die Strecke zu schieben?

E. MARTIN: Es ging ganz gut. Zum einen waren die Waggons gut geschmiert, zum anderen kam uns das Niveau der Trasse entgegen. Sie hatte am ehemaligen Haltepunkt Leubetha an der Staatsstraße 92 ihren tiefsten Punkt und stieg von dort aus sowohl in Richtung Roßbach als auch in Richtung zum Bahnhof Adorf an.

Die Hinfahrt von unserem Abladeplatz, der sich in der Nähe des Stellwerks 1 des Adorfer Bahnhofs befand, zum jeweiligen Endpunkt der Strecke im Tetterweintal war anstrengend. Wegen der Beschädigung des Gleises mussten wir an der Elsterbrücke anhalten und unsere Wagen über die Brücke schieben. Natürlich fehlte dann der Schwung, und wir rollten nicht viel weiter als bis zum etwa 250 Meter entfernten ehemaligen Haltepunkt Leubetha. Von dort aus hieß es wieder schieben.

Die Rückfahrt mit Ladung in Richtung Bf. Adorf wurde dann aber regelrecht zur Schussfahrt. Wir hatten extra am Haltepunkt Leubetha einen Mann postiert, der bei unserem Herannahen die Straße 92 für den Verkehr sperrte, sodass wir sie überqueren konnten, ohne anhalten zu müssen. Aber damals war dort sowieso kaum Fahrzeugverkehr.

T.SCHINDEL: Das klingt alles sehr abenteuerlich und auch nicht ungefährlich.

E. MARTIN: Ungefährlich war es wirklich nicht. Einmal hatten wir auf der Rückfahrt nach Adorf so viel Schwung, dass ich nach dem Passieren der Staatsstraße Angst hatte, der Wagen würde vor der Elsterbrücke, wo die Trasse eine leichte Biegung macht, entgleisen. Ich sprang ab und rollte den Bahndamm hinunter. Meine Kollegen, die das auf dem Wagen sitzend beobachtet hatten, sagten mir später, dass nicht viel gefehlt hätte und ich wäre überrollt worden. Glück gehabt.

T.SCHINDEL: Wie ging der Abbau der Gleise vonstatten?

E. MARTIN: Am jeweiligen aktuellen Endpunkt der Reststrecke waren drei oder vier Leute damit beschäftigt, die Schwellenschrauben mit großen Schraubenschlüsseln zu lösen und das Gleis frei zu legen. Das waren Leute, die irgendwelche Behinderungen hatten und für die Arbeit des Abtransports körperlich nicht geeignet waren.

Dort angekommen, luden wir jeweils etwa 20 Schwellen, die aus Eisen waren, und die entsprechende Länge Gleis auf unsere Wagen auf, fuhren zurück nach Adorf und luden dort am Lagerplatz ab. Dann ging es wieder retour. Zweimal täglich ging das so.

T.SCHINDEL: Wie lange dauerte der Abbau der Trasse?

E. MARTIN: Ich arbeitete etwa bis Mitte Mai 1949 an der Strecke. Wir hatten da schon die Gleisanlagen am Bahnhof in Freiberg abgebaut. Was dann weiter geworden ist, kann ich leider nicht sagen. Ich nehme aber an, dass der Rückbau im Sommer 1949 abgeschlossen war.

T.SCHINDEL: Aus welchem Grund sind Sie nach Ihrer Kriegsgefangenschaft gerade nach Adorf gekommen?

E. MARTIN: Meine Eltern hatten bereits in den letzten Kriegstagen unsere Heimatstadt Aussig in Richtung Dresden verlassen, wurden dann aber von sowjetischen Soldaten ins Sudentenland zurückgeschickt. Noch bevor sie Aussig erreichten, wurden sie im Zuge der ersten Vertreibungswelle abgeschoben.

Mein Vater war Lockführer und erhielt später eine Anstellung beim Bw Adorf. Er fuhr noch viele Jahre Züge mit Reparationsgut in Richtung Sowjetunion. Auf Umwegen erfuhr ich davon, dass meine Eltern in der Adorfer Eisenbahnersiedlung am Leitersberg ein neues Zuhause gefunden haben und so führte mich mein Weg ebenfalls nach Adorf.

T.SCHINDEL: Ich danke Ihnen sehr für dieses interessante Gespräch und wünsche Ihnen Herr Martin weiterhin alles Gute.